Das Stück ist der Widerschein eines anderen, nämlich meines Schlagzeugquartetts aus dem Jahre 2006. Die Erkenntnis, dass eigentlich alles auch ganz anders sein könnte (das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun!), spiegelte sich nicht nur in der Möglichkeit der Neukomposition des Stückes in einer völlig anderen, der ursprünglichen Version inkommensurablen Erscheinungsform wider, sondern bildet, als verallgemeinerbare Erfahrung der Nicht-Identität der Wahrnehmung auch die zentrale Idee der kompositorischen Gestaltung selbst: Fast alle Gedanken, Texturen, formalen Abschnitte tauchen doppelt oder mehrfach auf. Immer wieder werden in aperiodischen Zeitabständen ähnliche oder nahezu gleiche Zustände erreicht. Veränderungen finden dabei im Wesentlichen nur quantitativ statt und niemals gleichzeitig in allen Parametern. Gestus, Charakter, Gestalthaftigkeit bleiben daher immer leicht widererkennbar. Entscheidend ist jedoch die stets veränderte Reihenfolge, so dass das Prinzip von Ursache und Wirkung mehr und mehr ausgehöhlt wird.
Die zu Beginn des Stückes im Vordergrund stehenden elementar-expressiven Gestalten verlieren ihre Naturwüchsigkeit, werden durch die veränderte Umgebung neu beleuchtet und durchleben letztlich doch entscheidende, qualitative Veränderungen ihrer Funktion und Bedeutung im Gesamtverlauf des Stückes.
Das Spiel der Entzweiung findet dabei auch auf der klanglichen Ebene statt: Ausgehend von zwei quasi-solistischen Klarinetten, setzt sich das Prinzip des gegenseitigen Widerscheins in den beiden Violinen und dann auch in den übrigen, nicht mehr exakt verdoppelten Instrumenten fort.
Der Untertitel Die entzweite Denkmusik entstammt dem gleichnamigen Gedicht von Paul Celan. Ohne dass die Musik konkret auf Inhalt oder Struktur des Gedichtes Bezug nimmt, waren mir einige Fragmente daraus eine wichtige Hilfe.
Jörg Birkenkötter (2011)


die unendlich gedoppelte
Schleife
Schrei
ins Neue
angestrahlt, aus-
geleuchtet vom jähen,
beharrlichen
Glockenspiel
Entwegtes Übermaß
(aus Paul Celan, Die entzweite Denkmusik )