Die Bush-amerikanische Kriegspolitik hat der Ruhe und Gemütlichkeit der Postmoderne einen entscheidenden Schlag versetzt. Das Denken selbst ist seiner Schutzhülle beraubt. Sogar „Der heimliche Aufmarsch“ von Eisler gewinnt Aktualität zurück. Ich muss gestehen: es war schwer für mich, die Musik beim Komponieren dieser Unruhe von außen ausgesetzt zu sehen, einer Unruhe, die kein Fünkchen Aufklärung in sich birgt, aber ihre einschneidende Brutalität voll entfaltet.
Immerhin habe ich versucht, mit 12 Textfragmenten einen inhaltlichen Bogen zu spannen, mit dem man Pfeile abschießen, mit dem man aber auch einfach sich orientierend umherblicken kann. Neglect-Syndrom ist eine Bezeichnung für das Nichtbeachten von Gegenständen oder Ereignissen in der linken bzw. rechten Raumhälfte und/oder den Wegfall von orientierenden Blick-, Kopf- und Rumpfbewegungen dorthin, ohne dass Beeinträchtigungen der Sinnesorgane und/oder des Bewegungsapparates vorliegen (dtv-Wörterbuch der Psychologie, 1997, Werner D. Fröhlich). Das ist eine Krankheit, an der die Musik manchmal (auch gerne!) leidet. Immerhin „hilft“ sie uns auch, wenn sie sich z. B. die Zeit nimmt, ihre Schwingungen ausklingen zu lassen oder etwa ein Marimbastab bleibt, was er ist und uns gestattet, seinen Ton als Stabilität und Zuverlässigkeit wahrzunehmen. Im Gegensatz zu den Bush-Zumutungen sind hier unsere Wahrnehmungen bei avantgardistischer Elementarität von besonderer Art angelangt. Musik ist immer noch das berührbar Offene!
(Nicolaus A. Huber, Mai 2003)


CDs:
Angelika Luz (Sopran), Ensemble Modern, Ltg. Heinz Holliger
CD Wittener Tage für neue Kammermusik 2004
ensemble reflexion K, Ltg. Gerald Eckert
CD COV 91509


Bibliografie:

Ehrler, Hanno: „... ein bißchen minipolitisch ...“. Zu einigen jüngeren Kompositionen von Nicolaus A. Huber, in: MusikTexte Heft 108 (Februar 2006), S. 38-41.