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Helmut Lachenmann (*1935) Ausklang

Musik für Klavier mit Orchester [Klav,Orch] 1984/85 Dauer: 50'

Solo: Klav – Picc.2(2Picc).A-Fl(Picc)3.3.B-Klar.3.Kfg – 4.3.3.1. – Schl(4) – Hfe – Klav – Str: 12.12.10.8.8.

Uraufführung: Köln (Musik der Zeit), 18. April 1986

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Der Wunschtraum, die Schwerkraft zu überwinden, zu überlisten, oder wenigstens Situationen solch überwundener Schwerkraft zu simulieren, hat vielleicht ein Pendant in den vielfältigen Versuchen, die per Impuls in Schwingung versetzte Materie, zum Beispiel den Klavierklang, am Verklingen zu hindern. Die Geschichte des Klaviersatzes, und nicht erst seit der Romantik, ist weithin die Geschichte solcher Techniken. Wo aber die Spekulation mit solcher Illusion mit sich selbst spielt, geht es über die Nutzung von Pedal- und Flageolett-Techniken des modernen Flügels hinaus. Wenn diese auch weithin meine Komposition mitgeprägt haben, so scheint mir wichtiger, wie der Umgang mit den Mitteln überhaupt sich dabei modifiziert. Grifftechnisch abgeleitete pianistische Spielmodelle, organisiert als mechanistisch funktionierende Speicherungsobjekte, halb bewußtlose Einschwingprozesse, erstmal „bloß um die Saiten anzuregen“, deren Ausklingen es dann zuvorzukommen gilt durch verschieden massive Eingriffe, mehr oder weniger rhythmisierte Abbau- und Umbau-Prozesse, Filterung, unvermittelte Integration in ganz andere Wahrnehmungskategorien usw.: Solche Modelle, hereingeschmuggelt zunächst, entfalten ihre eigene Dynamik. Bei dem sich so präzisierenden kompositorischen Instrumentarium spielt aber auch die Transferierbarkeit des pianistischen Ausgangstyps (Anschlagsimpuls beziehungsweise -figur, Klanggestalt, Klangveränderung – aber auch seine Umkehr- und vielfache Strapazierbarkeit) auf das Orchester, auf einzelne charakteristische Orchestergruppen, im Sinn eines Superklaviers, bei welchem das Solo-Instrument zum partikular beteiligten Gerät wird, eine wesentliche Rolle. An den Markierungspunkten in dieser Materiallandschaft stehen rohe Grundformen wie der unverformte Hall, der Secco-Klang, aber auch komplexere wie der „falsche Nachhall“, die „gefilterte Kantilene“, schließlich auch Martellato-Felder, die ihr eigenes Echo verdecken oder auch davon verschluckt werden. Zugleich wirkt darin harmonisch Vertrautes: oberton-orientierte einfache oder zusammengesetzte Mixturbildungen, der Unisono-Klang (die orchestral übertragenen Saitenchöre des Klaviers), aber zum Beispiel auch der „Zweiklang“, das tonal ungesättigte bloße Intervall: alles koordiniert im Hinblick auf im Großen wie im Kleinen zu steuernde Verflüchtigungsprozesse, und so expressiv entleert und neu geladen.
Die Musik durchläuft so einen Parcours von Situationen, die – fortsetzend, kontrastierend oder qualitativ umschlagend auseinander hervorgehen, wobei die Musik den Ausgangsgedanken zu verraten scheint, weil sich die Bewegungen mehr und mehr verselbständigen, bis diese, als perforiertes Riesencantabile sich erkennend, wieder in ihn einmünden und sich ihm unterwerfen.
(Helmut Lachenmann, 1986)


CDs:
Massimiliano Damerini, Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester, Ltg. Peter Eötvös
CD col legno WWE 31862
Ueli Wiget (Klavier), Ensemble Modern Orchestra, Ltg. Markus Stenz
EMCD-003
Pierre-Laurent Aimard (Klavier), Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Jonathan Nott
CD NEOS 11424


Bibliografie
:

Febel
, Reinhard: „… Das Bist Du“. Zur Musik von Helmut Lachenmann, in: Reinhard Febel, Alles ständig in Bewegung. Texte zur Musik 1976-2003, hrsg. von Rainer Nonnenmann (= Quellentexte zur Musik des 20./21. Jahrhunderts 11.1), Saarbrücken: Pfau 2004, S. 168-180.
Herzfeld
, Isabel: “Tradition ist etwas Dynamisches, das immer weitergehen muss.” Ein Gespräch mit Helmut Lachenmann über „Ausklang – Musik für Klavier mit Orchester“, in: Piano News (2014), Heft 6, S. 60-64.
Hiekel,
Jörn Peter: Helmut Lachenmann und seine Zeit, Laaber: Laaber 2023, S. 283-293.
Huber
, Sonja: Das Klavierkonzert heute? Bewahrung der Tradition oder Experimentiertfeld für Neues? in: Die Tonkunst, 6 (2012), Heft 3, S. 368-373.
dies.
: Klavierkonzerte an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Ausgewählte Werke von M. Feldman, H. Lachenmann, G. Ligeti, W. Lutoslawski, G. Kühr und M. Jarrell, Diss. Wien 2010.
Ausklang und Abgesang. Helmut Lachenmann im Gespräch mit Max Nyffeler, in: Lucerne Festival, Sommer 2005 „Neuland“, Konzertprogramm 6, S. 34-42.
Zink
, Michael: Analytischer Versuch über Helmut Lachenmanns „Ausklang“, in: MusikTexte, Heft 96 (Februar 2003), S. 27-41.

Breitkopf & Härtel KG

Breitkopf & Härtel, 1719 gegründet, ist der älteste Musikverlag der Welt. Schon im 18. Jahrhundert betreute der Verlag bedeutende Komponisten und setzt diese Tradition auch heute fort. „Breitkopf Pädagogik“ bringt neue musikpädagogische Konzepte, „Breitkopf Urtext“ garantiert Interpreten wissenschaftlich einwandfreie Ausgaben.
Entdecken Sie unsere Geschichte auf www.first-in-music.com und unsere Podcasts auf breitkopf.podigee.io

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© Breitkopf & Härtel - Letzte Änderung: Dec 4, 2025